Mittwoch, 27. November 2019

Jeder sein eigener Demosthenes

Eine rhetorische Episode



Demosthenes von Athen
384 - 322 v. Chr.

Das muss man sich so vorstellen: Sie hatten ihn betrogen. Als sein Vater starb, war er erst sieben Jahre alt. Er hatte zwar vorausschauend drei ehrenwerte Männer als Vormünder ausgewählt. Aber mit der Aussicht auf Mammon schieden sich schon damals die Geister. Und bevor der schwache Sohn volljährig war, hatten sie das ihm zustehende reiche Erbe längst aufgefressen. Da half es auch nicht mehr, dass er sich der junge Mann als Anwalt ausbilden ließ und gegen sie klagte.

Die Verbitterung fraß. Und er wollte nicht als Muttersöhnchen dastehen. Als ihn der hervorragende Redner Kallistratos bei einem anderen Prozess schwer beeindruckte, kam er auf die Idee, selbst Redner zu werden. Das sah er wohl als eine Möglichkeit für die Rache. Im Athen des 5. vorchristlichen Jahrhunderts durfte sich jeder freie Bürger auf dem Pnyx, einem Hügel vor der Stadt, von der Rednerbühne aus vor dem Volk und den Politikern (der Ekklesia) offen äußern. Und das tat er dann auch. Anfangs misslang es ihm gehörig. Mit feuchten Fingern mag er die Wachstafel gehalten haben. Unsicherer Blick und verhaltene Körpersprache. Zitternd, mit schwachem Stimmchen, mit schwerer Zunge sowie  unpassender Atmung bemühte er sich erfolglos. Da ist auch das sonst vielleicht geduldige Volk ungnädig, und schon gar, wenn die Argumentation nicht sitzt. Sie müssen gebuht und gepfiffen haben. Und Demosthenes trat erst einmal ab.

Aber er gab nicht auf. Ein wenig Geld muss wohl noch übrig gewesen sein. Denn er nahm eine Lehre bei Isokrates auf, einem einflussreichen Schreiber und Redner. Er muss es auch regelrecht sportlich betrieben haben, denn er übte bergan laufend seine Atemtechnik, deklamierte Texte gegen die Meeresbrandung, pflegte mit Kieselsteinen im Mund seine Artikulation und kontrollierte Mimik und Gestik vor einem großen Spiegel.

Nach und nach wurde Demosthenes einer der besten Redner und führenden Köpfe Athens  und mischte sich in die politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit aktiv ein. Noch mehr als 2000 Jahre später durften sich die Gymnasiasten mit seinen Philippika (Reden gegen Philipp II., den König von Makedonien) herumplagen. Als die Griechen nach dessen Ermordung seinem Sohn Alexander (dem Großen) unterlagen, wählte Demosthenes auf der Flucht den Gifttod.

Was lehrt uns das? Rhetorik ist erlernbar und kann durchaus wichtig sein. Aber man darf es auch nicht übertreiben...

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