Sonntag, 20. März 2022

In der Politik gehört das Mundwerk zum Handwerk

Leseempfehlung: Gregor Gysi: Was Politiker nicht sagen. Econ-Verlag 2022 - sein neues (Rhetorik-) Buch

Den politischen Tausendsassa höre ich nach wie vor sehr gern reden. Schon allein wegen seines rhetorischen Esprits und seiner linken Konsequenz ist er längst in die Geschichte des deutschen Parlamentarismus eingegangen. "Ohne die Linke herrschte im Bundestag gähnende Langeweile." (S. 111) Und das ist vor allem ihm zu verdanken.

Aber: ist ein guter Rhetor (Redner) auch gleichsam ein guter Rhetoriker (Rede-Lehrer)? Dieses Buch könnte Aufschluss darüber geben, auch wenn Schreiben auf keinen Fall mit Reden und Lesen nicht mit Lernen gleichzusetzen sind. Seien Ablehnung, eine Magisterarbeit über seine rhetorische Befähigung zu lesen, begründete er so: "Hätte ich weiter gelesen, wäre es mir wie einem Tausendfüßler ergangen. Wenn er darüber nachdächte, wie er läuft, verknotete er sich sämtliche Beine." (S. 14) Das ist Gregor, wie ihn wohl viele schätzen: paradox, treffsichert und humoristisch.


Ich habe mir das Buch gestern gekauft. Ich bin schließlich Rhetorik-Lehrer. Und heute habe ich es schon fast durchgelesen. Und ich empfehle es nicht nur meinen Studenten, sondern ich bin heißt darauf, mit ihnen darüber zu diskutieren. Ich hatte bereits einen Artikel über Rhetorik von ihm gelesen: "Es gibt eine Pflicht zur Übersetzung. Über Rhetorik in der Politik." in: Hüttner, B.; Nitz, C.[Hrsg.]: Weltweit Medien nutzen. Medienwelt gestalten. VSA Verlag Hamburg 2010, S. 18 ff.). Aber in diesem Buch hat er sich glücklicherweise noch viel mehr ausgebreitet. Stilfiguren, Aphorismen und Witze wechseln sich mit weisen Erfahrungen zur politischen Rhetorik im Deutschland der letzten 30 Jahre und bitterem Spott über manche seiner parlamentarischen Kollegen ab. 


Allein die Feststellung, "In der Sprache, in der wir reden, muss zur Sprache kommen, was unsere Wählerinnen und Wähler für wichtig halten.", sollte viele Politiker dazu veranlassen, dieses Büchlein als Pflichtliteratur anzusehen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es dazu kommen wird. Die Rhetorik-Ignoranz ist ausgeprägt. Wer sieht schon gern im Spiegel, dass er/sie nicht das Schönheitsideal ist, was er/sie gern sein möchte. Aber habt doch Mut! Sonst geht ihr auf die Dauer in Bedeutungslosigkeit unter.

G. Dietmar Rode

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