Freitag, 7. Oktober 2016

Rhetorisches Gift

PEGIDA. Warnsignale aus Dresden. 

Aktuelle Leseempfehlung

Werner J. Patzelt,
Professor für Systemvergleich an der TU Dresden, und
Joachim Klose,
Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer.Stiftung für Sachsen
u.a.

Sachsen ist dafür berühmt, dass hier viel technische und künstlerische Kreativität entstand. Und das Angebot reicht vom Aktendulli bis zum Zwinger, beinhaltet den BH ebenso wie den Teebeutel.

Auch sprachgeschichtlich gingen von hier wichtige Impulse aus. Das Sächsische Kanzlei (Verwaltungssprache im 16. Jahhundert, von Martin Luther bei der Bibel-Übersetzung genutzt) prägte die hochdeutschen Sprachgebrauch maßgeblich. Lene Voigt hat die Volkslyrik in nachhaltiger Weise mit ihrer sächsischen Mundart angereichert, was ihr die Nationalsozialisten allerdings als als "unheldische" (Martin Mutschmann) "Verschandelung" der deutschen Klassiker übel nahmen. Und von Dresden aus beobachete Victor Klemperer die Sprache des Dritten Reiches (LTI - Linguia Tertii Imperii). Er analysierte sie als den kommunikativen Absud der Nazis.

Und nun kommt  Professor Patzelt. Das o.g. Buch (667 Seiten) widmet sich einem aktuellen Phänomen. In Dresden entwickelte sich durch PEGIDA seit 2014 eine besonders makabere Form des deutschen Rechtspopulismus. Seine sprachlich-medialen Geburt fand sozusagen auf dem Theaterplatz statt. Es entstand eine Sammlungsbewegung, die einen angstschürendem Rassismus und die Kritik an der Einwanderungs- und Integrationspolitik, die Unfriedenheit gegenüber der politischen Herrschaft und die vorhandenen Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland aufgriff und damit wöchentlich Tausende auf die Straßen brachte. Es fand eine rhetorische Überproduktion statt wie selten. Und hier trifft die oft zitiert Erkenntnis Klemperers zu: "Worte können wie winzige Arsendosen sein: Sie werden unbemerkt verschluckt; sie scheinen keine Wirkung zu tun - und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da." Taumelnder Protest ohne Ziel und Programm. Verrohung in den den öffentlichen Beziehungen. Rhetorisches GiftFanatiker erzeugten nahezu Veithstänze. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Ein wenig Ermüdung sieht man allerdings schon. Und deshalb kam es auch zum Nationalfeiertag zu einigen blinden Wutattacken, die selbst aus den Reihen der AfD abgelehnt werden.

Die Reden und Sprechchöre der Rechtspopulisten strotzen nur so von giftigerzeugenden Worthülsen und Fäkalvokabeln wie Lügenpresse, Multi-Kulti-Scheiße, Moslemmüllhalde, Islamisierung, Kinder-Ficker-Partei, Volksverräter. Da erinnert vieles an LTI. Und die Demonstrationszüge werden oft genug und sichtbar von Rechtextremisten unterwandert und unterstützt. Patzelt stellt das ausführlich dar und gibt umfangreiche Ansätze für die Auseinandersetzung. Dabei ist der dresdner Politikwissenschaftler selbst nicht unumstritten. Die Denkwelt der Pegida-Gegner ist ja ebenfalls widersprüchlich in sich. So wirft ihm z.B. die Juso-Hochschulgruppe Halle Pegida-Verharmlosung vor, die nicht in die Seminare und Vorlesungen gehöre. Genug gepatzelt?

Gewiss: Das Buch ist keine leichte Wochendlektüre zu Kaffee und Kuchen. Und sie bietet auch keine ideale Checkliste zur Zurückdrängung des Rechtspopulismus. Aber wie soll man sich vereinfachend und vielleicht gar banalisierend mit einer komplexen Erscheinung wie Pegdia auseinandersetzen?

Erschienen bei: w.e.b., Universitätsverlag und Buchhandel Eckhard Richter & Co. OHG, Dresden, 2016

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