Mittwoch, 26. Februar 2020

Dialektik

Ein begriffologisches Lob dem Streite


Wilhelm Rettler

Ich will nicht alles schlecht reden. Was gut ist, muss auch gut benannt werden. Der Eingangssatz im Artikel „Dialektik“ bei Wikipedia ist begriffologisch korrekt formuliert:
„Dialektik ist ein uneinheitlich gebrauchter Ausdruck der westlichen Philosophie.“
Genau, es ist ein Ausdruck, kein Begriff. Es ist ein Wort mit mehreren Bedeutungen bzw. Begriffen, ein Homonym. Marxistische Philosophen bezeichnen so die Methodik ihres wissenschaftlichen Betrachtens und Herangehens. Unter anderem aber meint es auch die Kunst der Gesprächsführung und fällt damit in den Kernbereich der Rhetorik. Und bei Wikipedia finde wir: 
„Rein schematisch kann Dialektik … vereinfachend als Diskurs beschrieben
werden, in dem einer These als bestehende Auffassung oder Überlieferung
ein Aufzeigen von Problemen und Widersprüchen als Antithese gegen-
übergestellt wird, woraus sich eine Lösung oder ein neues Verständnis
als Synthese ergibt.“ (Wikipedia)
Der folgende Satz stammt von dem marxistischen Philosophen Hans Heinz Holz.
These: „Die Kommunisten müssen auf äußerste Genauigkeit bei der Anwendung der Begriffe achten.“ (Das sollten nach meiner Meinung nicht nur Kommunisten)
Der nächste Satz entsprang aus dem Munde eines bedeutenden Politikers der Partei DIE LINKE, der nicht genannt werden möchte:
Passt wie die Faust (oder der Faust?)
aufs Auge. Foto und Faust: Rode
Antithese: „Ich will mich nicht um Begriffe streiten.“ 
Der Mann meinte wohl nicht Begriffe, sondern Worte. In Goethes "Faust" lesen wir in der Szene mit dem Schüler: 
"Mit Worten lässt sich trefflich streiten, aus Worten ein System bereiten. An Worte lässt sich trefflich glauben, von einem Wort lässt sich kein Jota rauben." 
Aber: Sollte unser Linker doch Begriffe gemeint haben, wäre dies der Fall einer unmöglichen Synthese. Man müsste doch mal mit ihm streiten.

Apropos: Die Streitkunst nennen wir Polemik. Und die hat es überhaupt nicht verdient, immer nur pejorativ (negativ konnotiert) ausgedeutet zu werden. Polemik kann auch Gutes bewirken.

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